Aktuelles aus der Arche Zürich

Unterstützung bei der Selbstbestimmung

Geschrieben von Sonya Schlatter | 18.03.2019

Im letzten Jahr haben wir unser Verständnis, was Betreuung bei uns bedeutet, überprüft. Selbstbestimmung ist dabei ein wichtiger Begriff. 

Seit 2018 bieten wir in unseren drei Wohnhäusern neu total 61 Plätze an. Die Nachfrage für eine betreute Wohnform in den früheren Jahren war stets sehr hoch, weshalb wir sechs neue Wohnplätze schaffen konnten. Diese Erweiterung haben wir zum Anlass genommen, unser Betreuungsverständnis zu überprüfen.

Das Individuum steht im Zentrum
Wir orientieren uns an «Recovery». «Recovery» ist eine Haltung, bei der das Individuum im Zentrum steht und die alle Lebensbereiche eines Menschen betrifft. Die Zusammenarbeit zwischen Betreuungsperson und Klientin oder Klient wird als professionelle Beziehung betrachtet. Es stehen nicht standardisierte Vorgehensweisen im Vordergrund. Vielmehr geht es um das gemeinsame Erarbeiten, wie die Lebensumstände von Betroffenen sich stabilisieren und sich so bewegen, dass Betroffene sich mit ihrer Entwicklung identifizieren und sich darin wiedererkennen können.

«Recovery» steht für zieloffene Prozesse, bei denen Betroffene über ihre Wege selber bestimmen sollen, dabei unterstützt und bei Rückschlägen nicht fallen gelassen werden.

Verwirklichen von Träumen und Wünschen
Dass es bei solchen Prozessen keine zeitlichen Vorgaben gibt, zeigt uns das Beispiel eines Bewohners, der seit Jahren an einer schweren Alkoholsucht erkrankt ist. Seine Fähigkeiten waren zeitweise so sehr beeinträchtigt, dass ein Wohnhauswechsel in eine Pflegeeinrichtung diskutiert wurde. Seinen Haushalt konnte er nicht mehr selbständig erledigen und sein gesundheitlicher Zustand war besorgniserregend.

Über Jahre träumte er, der selbst ein begabter und kreativer Kunstliebhaber ist, von einer Reise nach Paris, wo er als junger Mann oft unterwegs war und viele Museen kennt.

Die Haltung seiner Bezugsperson ist es nicht, ihm aufzuzeigen, weshalb er nicht in der Lage ist, selbständig nach Paris zu reisen, sondern mit ihm zu erarbeiten, in welchen minuziösen Schritten sein sehnlicher Wunsch Realität werden kann.

Es gelang innerhalb von drei Jahren, dass dieser Bewohner sein Trinkverhalten zu kontrollieren lernte, so dass seine Orientierungsfähigkeit und sein gesundheitlicher Zustand sich deutlich verbesserten. Er lernte den Umgang mit Handy und E-Mail, um bei seiner Reise den Kontakt zur Bezugsperson aufrecht halten zu können. Er übte Fahrten im öffentlichen Verkehr und den Aufenthalt unter Menschen. Die Medikamenteneinnahme übernahm er wieder selbständig. Seine Reise finanzierte er sich mit seinem ersparten Taschengeld. Im Laufe der Zeit wurde er im Kontakt wieder der kommunikative und vielseitig interessierte Mensch, der hinter seiner Erkrankung geschlummert hatte.

Im Frühjahr 2018 war es soweit und er reiste nach Paris. Wie vereinbart rief er täglich seine Bezugsperson an und berichtete über seine Erlebnisse.

Heute hält der Bewohner an seinen Fortschritten fest, nimmt frühere Interessen wie Konzert- und Museumsbesuche sowie Lesen wieder auf. Seinen Haushalt erledigt er selbständig.

Damit unsere Bewohner/-innen solche oder ähnliche Wege gehen können, braucht es Fachpersonen, die in ihrem Berufsverständnis und in ihrer Haltung dem Menschen gegenüber bereit sind, diese professionelle Beziehungsarbeit zu leisten. Damit gesundmachende Träume, Realität werden können.

«Ein Baum, der fällt, erregt mehr Aufsehen als ein Wald, der wächst.»
Tibetische Weisheit

 

So individuell und einzigartig jede Bewohnerin und jeder Bewohner ist, so verschieden sind auch die Stühle im Aufenthaltsraum des Wohnhauses Hohlstrasse.