Haltung zeigen, Strukturen wahren – auch in schwierigen Zeiten
In der Arche Therapie Bülach prägt derzeit eine angespannte Grundstimmung den Alltag der Klient:innen. Frustration, Antriebslosigkeit und Perspektivmangel stehen einer kleinen Gruppe motivierter Personen gegenüber – eine schwierige Konstellation, die auch das Betreuungsteam fordert. Casemanagerin Isabelle Barth erklärt, mit welchen Instrumenten das Team arbeitet, um Halt zu geben, Motivation zu wecken und die Klient:innen Schritt für Schritt aus ihrer Negativspirale zu holen.
Wie würdest du die aktuelle Stimmung unter den Klient:innen in der Arche Therapie Bülach beschreiben?
Im Moment erlebe ich die Stimmung in der Gruppe eher als herausfordernd und teilweise gespalten. Es herrscht bei einigen grosse Motivations-, Antriebs- und Perspektivlosigkeit, sie bewegen sich in einer Negativspirale. Natürlich haben wir auch positiv eingestellte Klient:innen, die sich ihrerseits stark vom Rest der Gruppe abgrenzen. «Neutrale» Personen bewegen sich dazwischen – die eine Seite versucht, sie mit ihrer Negativität anzustecken, die andere das Gegenteil. Diese Konstellation ergibt eine sehr schwierige Dynamik
Was unternehmt ihr als Betreuungsteam, um die Stimmung wieder ins Positive zu drehen?
Da haben wir verschiedene Instrumente. Als Casemanagerin führe ich regelmässige Zweiergespräche mit meinen Bezugsklient:innen . Da bearbeiten wir, was die Frustration auslöst, welche Themen dahinter liegen, die zur momentanen Stagnation beiträgt. Wir führen ressourcenorientierte Gespräche, wir fokussieren uns auf die Stärken und positiven Ereignisse und erarbeiten Zukunftsperspektiven, damit die Person wieder aus der Negativität herauskommt.
Im Team tauschen wir uns ebenfalls in Teamsitzungen und ausserhalb auch sonst regelmässig aus und reflektieren unsere Haltung. Es ist wichtig, dass wir eine klare Linie fahren und dieselbe Struktur vorgeben. Ein weiteres Instrument ist die Team-Supervision, wo wir herausfordernde Fälle und negative Gruppendynamiken gemeinsam besprechen, unsere Erfahrungen austauschen und die gemeinsame Haltung sowie einen einheitlichen Umgang mit der Situation abstimmen.
Kannst du ein Beispiel nennen, welche Themen Frustration und Therapiekoller auslösen?
Aktuell haben wir einen Klienten, der im Rahmen einer Justiz-Massnahme bei uns ist. Im Gegensatz zu anderen ist er also nicht freiwillig in Bülach. Er steht noch ganz am Anfang des Prozesses im Umgang mit seiner Suchtproblematik, fühlt sich noch stark zum Milieu hingezogen und sieht momentan wenig Erfolgschancen. Seine Motivation, eine Abstinenz aufzubauen und sich mit der Thematik auseinanderzusetzen, ist noch sehr gering. Er lässt sich auf das Setting hier ein und muss sich im Gegensatz zu seinem Leben vorher den hier bestehenden Regeln und der bestehenden Tagesstruktur fügen, (noch) aber ohne einen Sinn oder eine Perspektive für sich zu sehen; das generiert eine grosse Frustration.
Es ist uns bewusst, dass die herrschende Struktur auch einengend sein kann, andererseits gibt sie Halt und hilft, durch die Woche zu kommen und dabei, sich längerfristig eine sinnvolle Tagesstruktur zu erarbeiten.
... Stichwort Garten- und Hausarbeit?
Die Mitarbeit im Haus oder Garten ist nicht verhandelbar. Die Arbeiten werden an die jeweiligen Ressourcen, Gesundheitszustände, Einschränkungen etcetera der Klient:innen angepasst, sind aber ein fester Bestandteil, weil wir uns am «Alltagsprinzip» orientieren. In späteren Anschlusslösungen wie zum Beispiel einer eigenen Wohnung oder einem begleiteten Wohnen gehören solche Tätigkeiten auch dazu.
Wie motiviert ihr jemanden, der frustriert und antriebslos ist?
Das kann ein langer Prozess sein. In den wöchentlichen Bezugsperson-Gesprächen gehen wir die Situationen einzeln durch, die Frustration ausgelöst haben. Ich schaue mit dem:der Klient:in, ob zuvor bereits Situationen beobachtet werden konnten, in denen es besser gelang, mit Frustration umzugehen und wenn ja, was für Strategien vorhanden waren. Auch zeige ich Wege auf, wie der:die Klient:in besser durch solche Momente kommen könnte. Viel Erfolg haben wir zudem mit unseren Teamfeedbacks. Diese führen wir mit dem:der Klient:in durch. Die Person bekommt von mehreren Teammitgliedern Rückmeldung, wie wir sie in verschiedenen Arbeits- und Alltagssituationen wahrgenommen haben. Das kann jemandem helfen, der sich in einer Negativspirale befindet – er:sie erfährt, wie Verhalten und Auftreten auf andere gewirkt haben. Die Erfahrung zeigt uns, dass dieser Austausch positive Auswirkungen anregt.
Werden auch Gespräche mit der ganzen Gruppe durchgeführt?
Ja, wir führen auch Sitzungen mit der gesamten Gruppe durch. Als wir feststellten, dass sich die Stimmung verschlechtert, haben wir zwei ausserordentliche Treffen angesetzt, um von allen das aktuelle Befinden abzuholen. Gleichzeitig haben wir den Anlass genutzt, um klarzustellen, dass wir an unserer Struktur und den Regeln festhalten. Ein Balanceakt zwischen Empathie gegenüber den Klient:innen, dem Vertreten der bestehenden Strukturen des Therapiesettings und unserem Auftreten als Team.
Abgesehen von diesen Zusammenkünften finden Sitzungen der «Themen- und Suchtgruppe» statt. In diesem Gefäss werden verschiedene Themen bearbeitet. Dort haben die Klient:innen aber auch den Raum, sich in der Gruppe über Bedürfnisse, Dynamiken und Schwierigkeiten auszutauschen. Wir moderieren diese Sitzungen, besprechen, ob es immer noch dieselben Themen sind, die negativ wahrgenommen werden oder ob neues dazugekommen ist; was hat sich verändert, verbessert oder verschlechtert, was ist gleichgeblieben. Wir schaffen Raum für Lösungsvorschläge seitens Klient:innen und bieten auch konstruktive Lösungsvorschläge. Auch hierbei können wir Verhaltensweisen von Klient:innen feedbacken und spiegeln. Zudem können wir in der Morgenbesprechung, am Mittag oder auch mal tagsüber spontan Brennpunkte ansprechen oder an der Abschlussbesprechung eines jeden Arbeits- und Therapietages, wo sich die Gruppe mit einem Teammitglied austauscht. Wir begleiten die Klient:innen engmaschig und bieten immer wieder Gelegenheit zur Reflexion und Feedback innerhalb der Gruppe oder gegenüber uns als Teammitglieder.
Könnt ihr eine Verbesserung der Grundstimmung feststellen?
Ich nehme eine Verbesserung der Situation wahr. Es gibt bei einigen noch immer viel Frustration und Negativität, aber nicht mehr im Ausmass von vor einiger Zeit. Ich habe das Gefühl, wir konnten etwas in Gang setzen. Zudem sorgen Neueintritte immer für frischen Wind in der Gruppe – meist verbunden mit positiver Stärke und Motivation. Das kann die anderen mitreissen. Momentan sind die Klient:innen, die positiv und weiter in ihrem Prozess sind, in der Minderheit, sie kämpfen gegen schlechte Stimmungen an. Es ist zu beobachten, dass sie sich abgrenzen und nicht in die Negativspirale ziehen lassen – das ist für uns ein grosser Erfolg. Im Gegenzug besteht die Gefahr, dass solche Klient:innen dann von der Mehrheit der Gruppe ausgeschlossen oder gar belächelt werden. Aber gleichzeitig auch die Chance, dass sich negativ eingestimmte von der Stärke und Positivität anstecken lassen.
Werden Ausflüge organisiert, um den Zusammenhalt in der Gruppe wieder herzustellen?
Über das Jahr verteilt finden während dem Therapiesetting unter der Woche verschiedene Ausflüge statt, die letzten waren beispielsweise Skifahren, klettern, Stand-Up-paddeln und «Böötli-»fahren oder grillieren.
Als nächstes stehen die gemeinsamen Klient:innen-Ferien an – ein viertägiges Lager, wo alle zusammen hinfahren. Das ist ein sehr gutes Instrument, den Zusammenhalt zu fördern, die gemeinsame Zeit und gemeinsame Erlebnisse wirken verbindend.
Demgegenüber unternehmen auch wir als Betreuungs-Team gemeinsame Ausflüge. Eine gute Gelegenheit, sich weg vom Arbeitsplatz über Dinge auszutauschen, die vielleicht etwas drücken. Unseren Ausflug kürzlich habe ich als sehr stärkend empfunden. Es hat sich eine Lockerheit eingestellt, die in der letzten Zeit etwas verloren ging. Wir sind als Team frisch gestärkt und zusammengeschweisst heimgekehrt.
Dass die Klient:innen in ihrer freien Zeit am Wochenende gemeinsam etwas unternehmen, streben wir unbedingt an, das Angebot besteht und wird von uns auch aktiv beworben. Letztendlich liegt es in der Verantwortung der Klient:innen, wer wo mitmachen möchte – gezwungen wird niemand. Wir stellen lediglich eine lange Liste mit Vorschlägen zur Verfügung, falls es an Ideen mangelt.
Wie grenzt du dich persönlich nach einem emotional belastenden Arbeitstagen ab?
Wenn ich das Gefühl habe, dass ein Tag speziell belastend war, tausche ich mich vor Feierabend mit einem Teammitglied aus. Wenn ich dann zu Hause bin, versuche ich, mir Gutes zu tun. Zum Beispiel ein Spaziergang draussen in der Natur, im See schwimmen oder ich treibe Sport. Wenn der Kopf voll ist, hilft mir eine Joggingrunde oder der Gang ins Fitnesscenter, um herunterzukommen. Ein gemütlicher Abend mit Freunden oder Freundinnen bildet ebenfalls ein perfekter Ausklang eines anspruchsvollen Tages. Ich glaube, ich kann es gut handeln, dass ich die Angelegenheiten vom Arbeitsplatz auch dort lasse und nicht alles mit in den Feierabend nehme.
Danke Isabelle für das sehr interessante Gespräch und den tiefen Einblick in den Alltag und damit auch in herausfordernde Momente in der Arche Therapie Bülach.