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Echte Gefühle ohne Drogen muss man sich hart erarbeiten

Wenn Ynnor zurückblickt, schaut er auf ein reich bepacktes Strafregister. Aber er sieht auch einen Mann, der seine Chance gepackt hat und in der Arche Therapie Bülach hart an sich arbeitet. Die Strafe, die er dort «absitzt» will er positiv nutzen und danach in ein selbstbestimmtes Leben ohne Drogen und Abstürze starten.

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Der Baum hat den letzten Sturm nicht überstanden – Ynnor hilft mit, ihn zu Brennholz zu verarbeiten.

Ynnor* ist in der Arche Therapie Bülach kein Unbekannter – vor längerer Zeit war dies schon einmal sein Zuhause. Über verschiedene Umwege, unter anderem 2018 ein Aufenthalt in Untersuchungshaft, danach – bis zur Urteilssprechung – zuerst in Freiheit, später in der Stiftung Brotchorb und schliesslich zum Entzug in der Suchtfachklinik, gelangte er in die Arche. «Ich wollte unbedingt verhindern, dass ich draussen erneut Dummheiten begehe», sagt er.

Seit Januar 2024 ist der junge Mann im Rahmen des Massnahmenvollzugs zurück in Bülach. Ynnor selbst sagt, dass er für die begangenen Delikte – unter anderem dealen und bewaffneter Raub – sehr mild bestraft wurde: «Für mich persönlich geht die Massnahme so lange, bis ich wieder Fuss im Leben gefasst habe.» Der Stand seiner Fortschritte wird laufend besprochen – seine engste Bezugsperson ist die fallführende Sozialarbeiterin in der Arche, die sich regelmässig mit der Justizbehörde, den Bewährungs- und Vollzugsdiensten des Kantons Zürich, austauscht. Das ausgesprochene Strafmass beträgt eineinhalb Jahre – zugute kommt Ynnor dabei sicher, dass er zum Zeitpunkt des Urteils einen Aufenthalt in der Suchtfachklinik hinter sich hatte und sich generell auf dem Weg der Besserung befand, wie er vermutet. Er betrachtet seine Strafe als Chance: «Es half und hilft mir sehr, dass ich weiss, es ist jemand da, der mir die Grenzen aufgezeigt. Mein Weg wird dadurch einfacher.»

Bedürfnisse benennen und Unterstützung anfordern
Ynnor betrachtet die Null-Toleranz, die in der Arche Therapie Bülach gilt, als positiv: «Ich will von den Drogen weg. Ich habe es schon mehrmals versucht, aber es hat nie ganz funktioniert.» Die Tagesstrukturen und die Aufgaben, die er zu erledigen hat, empfindet er als hilfreich. Er erzählt, dass er für den Umschwung zuständig sei und überall dort helfe, wo er gebraucht werde: «Rasenmähen, Laub rechen oder Schnee schaufeln – ich mache alles gerne.» Dass er richtig anpackt, wird aus seiner Aufzählung an Berufen klar, in denen er schon gearbeitet hat: Gartenbau, Forst, Landwirtschaft oder Metallbau. Er sei einer, der «immer alles wissen» wolle, der fit und interessiert sei.

Gut an der Arche Therapie Bülach findet er den naturnahen Standort und den Umgang mit dem Betreuungs-Team und in der Gruppe untereinander. Aus der Zeit seines ersten Aufenthalts vor einigen Jahren pflegt er noch immer Kontakt zu seiner damaligen Bezugsperson, wie er erzählt. Zwar sei heute einiges anders; er erwähnt die gewachsene Bürokratie und die Orientierung an Prozessen, trotzdem gehe es sehr menschlich und familiär zu und her. Ynnor lobt die Unterstützung, die er erfährt. «Man muss seine Bedürfnisse formulieren und anmelden. Sagt man nichts, wird man in Ruhe gelassen, was falsch interpretiert werden kann.» Er sei heute in der Lage zu sagen, was er brauche, das hätte er früher weniger gut gekonnt. Jede Therapie sei ein Lernprozess, er wisse heute, welche Hilfe er benötige und hole sich diese.

Im Innern schlummert viel Unbewältigtes
Das Zusammenleben mit den anderen Klient:innen klappe ebenfalls gut, auch, wenn es immer wieder Wechsel gebe. Als wichtig empfindet er, dass man Ungereimtheiten ansprechen könne und dürfe. «Hier leben extrem verschiedene Menschen eng zusammen. Jeder hat seine eigenen Probleme und Herausforderungen, ich betrachte das als grosses Lernfeld für mein späteres Leben.» Dank des eigenen Zimmers könne man sich auch jederzeit zurückziehen und Ruhe finden.

Auf sein Leben in Freiheit bereitet er sich täglich vor – seit Tag eins in Bülach – wie er betont. Er erzählt, dass er gleich zu Beginn die Einnahme von Methadon gedrosselt und auf ein sehr niedriges Niveau einstellte. Den Einfluss auf sein Empfinden habe er jedoch falsch eingeschätzt: «Ich habe Methadon seit meinem 18ten Lebensjahr eingenommen. Dass ich ohne äusserst empfindlich und sensibel reagiere, hätte ich nicht gedacht. Meine Probleme drohten Überhand zu nehmen, ich fühlte mich beeinträchtigt. Nun habe ich die Einnahme wieder aufgenommen und optimal eingestellt. Das hilft mir, meine Gedanken zu ordnen und aktiv am Leben teilzunehmen. Ich fühle mich jetzt stabil und kann an mir und meinen Herausforderungen arbeiten.» Er habe sich und seine Gefühle wieder im Griff. «Meditation hilft mir ebenfalls auf meinem Weg. In der Vergangenheit habe ich vieles verdrängt, das äussert sich in Magenschmerzen, Übelkeit und Ängsten. Dem stelle ich mich nun, um mich weiterzuentwickeln.» Unterstützt werde er dabei von seiner Bezugsperson, von anderen Klient:innen und einer Psychologin.

Allein wohnen bedeutet nicht automatisch Freiheit
Gefragt nach seiner Vision, wo er sich in zwei oder fünf Jahren sieht, sagt Ynnor bestimmt: «Ich will selbständig und selbstbestimmt leben. Das muss nicht eine eigene Wohnung sein, ich kann mir auch eine (betreute) Wohngemeinschaft vorstellen. Allein leben bedeutet nicht automatisch Freiheit. Was nützt eine eigene Wohnung, wenn Sucht den Alltag bestimmt?» Ob er seine Abhängigkeitserkrankung dereinst endgültig überwunden haben wird, kann er nicht beurteilen, wie er realistisch einschätzt, aber: «Jede Therapie, die ich mache, jeder einzelne Schritt im Leben ist Lernen und bringt mich vorwärts. Ich bin optimistisch und glaube dran.»

Abschliessend erzählt Ynnor davon, dass er über sich und sein Leben ein Buch mit dem Titel «Mein-Sein-Buch. Von mir, für mich.» schreibt. Es sei ein Buch über seine Gefühle, über das, was ihn ausmache, seine Fähigkeiten. Er würde es nie veröffentlichen wollen, es sei als Stütze in schwierigen Situationen gedacht: «Ich kann es zur Hand nehmen und lese meine Motivationssätze und Texte darüber, was ich alles kann. Es unterstützt mich im positiven Denken.» Er wolle mit guten Gedanken einschlafen und am Morgen wieder an Aufbauendes denken – helfen würde ihm dabei tägliche Meditation. «Ich will jeden Tag erfreulich gestalten!» In der Sucht sei so viel Negatives enthalten – ausser die Vorfreude auf den Konsum und der Moment nach der Einnahme. Dass diese Empfindungen ein Trugschluss, ein Teufelskreis sind, weiss er nur zu gut aus eigener Erfahrung. Die echten Gefühle müsse man sich hart erarbeiten «Das Leben ist auch ohne Kick lebenswert, selbst wenn die Erlebnisse vielleicht im Augenblick nicht so intensiv sind. Dafür sind sie echt und viel erstrebenswerter.»

* Name zum Schutz der Privatsphäre geändert.